Unterwegs mit Jesus – Teil 2: Berg Arbel

Wenn Du Dich in der Bibel etwas auskennst, dann hat Dich der Titel meines heutigen Beitrags bestimmt schon stutzig gemacht: Mit Jesus unterwegs ist ja schön und gut… Aber auf dem Berg Arbel? Der Berg kommt doch in der Bibel gar nicht vor, oder? Mit diesem Einwand hast Du vollkommen recht. Vom Arbel lesen wir in der Bibel gar nichts, zumindest nicht unter diesem Namen. Und trotzdem war er fester Bestandteil der alltäglichen Welt Jesu und seiner Jünger. Denn der Arbel ist Teil des Galiläischen Berglandes und gehört zu seinen Ausläufern am westlichen Rand des Sees Genezareth. Er sticht besonders durch seine massiven Klippen hervor, von denen aus man einen atemberaubenden Ausblick auf den See und die gesamte umliegende Landschaft hat.

Von Migdal aus sieht man die Klippe des Berges.

Heute gibt es hier das Arbel Nature Reserve. Ein paar Mal war ich schon hier und auch dieses Mal zieht es mich wieder zum Berg, aber nicht etwa nur wegen der wunderbaren Fotomotive. Nein, was mich dieses Mal magisch anzieht ist die Ruhe. In meinem Alltag in der Heimat ist es nicht einfach, zur Ruhe zum kommen, um allein mit Gott zu sein (vielleicht geht es Dir oft auch so). Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich eher der quirlige Typ bin – ich liebe Menschen, ich liebe das Leben, ich liebe Stress (muss ich leider zugeben). Aber oft leidet meine eigene Beziehung mit Gott darunter, denn je lauter der Lärm des Alltag wird, desto weniger höre ich hin. Sinn meiner Zeit hier in Israel war auch, diese Zeit allein mein Gott zu verbringen. In Jerusalem, am Toten Meer und in Haifa ist es dazu eher weniger gekommen, aber hier werde ich mehr Gelegenheit dazu haben – und suche nun die Einsamkeit auf dem Berg Arbel.

Über das Plateau selbst führt ein Weg bis zu verschiedenen Wanderwegen und Aussichtspunkten.

Mich zieht es heute hier hin, weil Jesus gebetet hat. An einigen Stellen erzählen uns die Evangelisten davon, dass Jesus sich allein auf einen Berg zurückzog und manchmal die ganze Nacht dort allein mit Seinem Vater verbrachte (bspw. Mit 14,23; Mk 6,46; Lk 6,12; Lk 21,37; Joh 6,15). Genau nach so einer Zeit mit Gott sehne ich mich heute auch, sehr sogar. Doch so richtig, wie ich es mir vorgestellt habe, wird es natürlich nicht: Ich packe meine sieben Sachen, mache mich auf den Weg… und verfahre mich erstmal! Ich schlängele mich eine Abfahrt zu spät die Berge noch, links von mir glitzert wunderschön der See Genezareth in der Morgensonne, immer höher fahre ich, vorbei am Nature Reserve Switzerland, das wegen seiner besonderen Beschaffenheit so genannt wird, und finde dann endlich den altbekannten Weg zum Arbel. Obwohl er direkt am See liegt, muss man nämlich von hinten aus dem Bergland in das Nature Reserve fahren, da es über die schroffen Klippen am See natürlich keine Straße geben kann.

Der Ausblick in jede Richtung ist fantastisch – hier sieht man Tiberias…

Nun kann es gleich losgehen mit der Ruhe, sage ich mir, als ich auf die Schranke zufahre. Doch treffe ich hier einen super netten Mitarbeiter des Reverses, der mir empfiehlt, einen besonderen Wanderweg zu nehmen, und nicht einfach nur (wie alle und ich zuvor auch immer) zum Aussichtspunkt auf den See zugehen. Stattdessen empfiehlt er mit die Wander-Kletter-Tour, hinab an den schroffen Klippen, entlang an antiken Höhlen und einer alten osmanischen Festung. Als er mir die Route beschreibt, überkommen mich plötzlich wieder die Abenteuerlust und der Wagemut, die ich schon auf Masada gespürt habe. Denn dieser Weg hat tatsächlich auch eine zweitausendjährige Geschichte, die mit dem Jüdischen Krieg gegen die römischen Besatzer zu tun hat. Wenn Du meinen Artikel vom Institut für Israelogie über Masada oder den über Migdal gelesen hast, kennst Du Dich mit der Geschichte des Jüdischen Krieges schon sehr gut aus. Falls nicht, lass ich Dir einen kleinen Überblick geben ;-)

… und hier schaut man Richtung Kapernaum…

…und die weiten Felder im Tal.

66 n.Chr. läuft das Fass über. Man könnte auch sagen, der Druck im Kessel ist zu groß. Seit über 100 Jahren unterdrückt Rom das jüdische Volk. Steuern lasten schwer auf den ärmeren Schichten, das Volk wird auseinandergerissen durch politische und gesellschaftliche Kluften, brutal werden seit Jahrzehnten Aufstände niedergemacht und die Religion der Juden zu oft mit den Füßen getreten von dem im Land lebenden Heiden. Unter den Anführern Menachem ben Yehuda und dem Hohepriester Eleasar erheben sich die Rebellen und der gesamte Hass, der Frust und das Leid brechen sich Bahn in mehreren Aufständen zur selben Zeit. Die jüdischen Rebellen schaffen es tatsächlich, eins ums andere Rom aus dem Land zu vertreiben. Ein solcher Erfolg irritiert Rom sichtlich, denn nachdem die Legionen vertrieben und das Land in kürzester Zeit unter Kontrolle der Rebellen ist, bauen diese sogar eine eigene Regierung auf, lassen eine neue Währung einführen und prägen die Gesellschaft um. Leider hält der Erfolg nur ein Jahr an, denn bald zieht Vespasian (der kurz danach Kaiser Roms wird) mit seinem Sohn Titus und den berüchtigsten Legionen über die Provinz Syrien in das Land. Der Norden fällt zuerst: Stück für Stück wird Galiläa eingenommen. In dieser Region lebt auch Flavius Josephus (eigentlich Joseph ben Mattitjahu), der berühmte antike Schriftsteller. Er gehört zu den Kommandanten in der Region am See und er war es auch, der in den Klippen des Berges Arbel die natürlichen Höhlen, die schon seit langer Zeit von den Bewohnern der Gegend als Zufluchtsort in Zeiten des Krieges benutzt worden waren, ausbauen und vorbereiten ließ für den Fall des Krieges. Er selbst wird gefangen genommen, wechselt die Seiten und begleitet von da an Titus als Schriftsteller, der den Krieg dokumentieren soll. So wird er auch beim Fall Jerusalems Jahre später dabei sein.

Ausblick auf den gegenüberliegenden Berg Nitai.

Ebendiese Zufluchtshöhlen, die Josephus ausbauen ließ und die während des Jüdischen Krieges als Zufluchtsort der Juden vor den Römern diente, handelt es sich bei der Route, die der Mitarbeiter mir vorschlägt. Nun reizt es mich doch sehr, einen weiteren historischen Ort sehen zu können, der so bedeutend für die Geschichte und das Schicksal des Landes war. Ich schnall mir also meinen Rucksack um, zieh endlich mal feste Turnschuhe an, nehm meine Kamera und los gehts. Als ich das Plateau hinaufstapfe, läuft mit gefühlt bald der Schweiß in Bächen herunter, denn hier oben ist es echt warm und man hat keinen wirklichen Schutz vor der Sonne. Schnell komme ich am Rand des Plateaus an: Direkt vor mir fallen die Klippen scharf ab und es bietet sich mir ein wirklich atemberaubender Ausblick: direkt vor mir der See, rechts von mir blicke ich bis tief hinein in das Jordantal, hinter mir das Galiläische Bergland mit dem Berg Tabor und den Hörnern von Hittim und links geht der Blick bis zum Hermon und den Golanhöhen. Jedes Mal bin ich hier oben Sprachlos und fühle etwas von dem Staunen, das auch Moses empfangen haben muss, als er auf dem Nebo stand und in das verheißene Land schaute.

Am Aussichtspunkt kann man die Schöpfung so richtig genießen.

Zuerst gehe ich doch zum Aussichtspunkt, setze mich in den Schatten und genieße die Zweisamkeit mit Gott, während ich einfach nur staune und danke. Kennst Du diese Momente, in denen Dir die Worte fehlen, Du Gottes Nähe aber so intensiv spürst, als würde Er als Person direkt neben Dir sitzen? Ob Jesus sich vielleicht wirklich auf diesen Berg zurückgezogen hat, um mit Gott allein zu sein? Sicher wissen wir es nicht. Aber es muss ein hoher Berg gewesen sein, da wir an so vielen Stellen lesen, dass er von Menschenmassen belagert wurde. Auf einen niedrigen Berg wären ihm die Menschen gefolgt. An solch einer Stelle wie hier kann man sich die Szene sehr gut vorstellen – und wird selbst eingeladen, Jesus auch im Gebet nachzufolgen.

Meine erster Blick nach oben, als ich den ersten Abstieg geschafft habe,

Nach einiger Zeit raffe ich mich dann auf, denn die Sonne steigt immer höher und die Wanderung wird nicht leichter. Ich gehe also ein Stückchen zurück und folge dem Schild zur Route zu den Höhlen – und stocke. Denn hier gibt es nichts mehr, was in meinem deutschen Verstand den Begriff „Weg“ verdient hätte: Steil bahnt sich ein Pfad über die Felsen, manchmal über natürliche Stufen, manchmal aber auch nur durch Griffe aus Metall, die ins Gestein gehauen wurden, existent. Immer weiter hinab, so weit der blick reicht, geht diese Konstruktion. Mit einem Mal macht sich meine Höhenangst bemerkbar, die ich sogar in Aufzügen, Parkhäusern und auf Treppen immer wieder spüre. Aber jetzt einfach aufgeben? Nein, denn Gott fordert uns  manchmal auch heraus, unsere Komfortzone zu verlassen. Jedes Mal, wenn ich in Israel war, habe ich irgendetwas für mich sehr Herausragendes mit Gott erlebt, Dinge, die ich nie für möglich gehalten hätte. Vielleicht reicht Er mir dieses Mal die Hand und fordert mich neu heraus, etwas Altes hinter mir zu lassen, von dem ich immer dachte, dass ich einfach so sei. Also kämpfe ich gegen den Schwindel an, versuche, das Gefühl in meinen Füßen und Händen zu behalten, atme tief ein und aus… und fange an zu klettern.

Danach wandert man im Grunde einmal am Arbel entlang Richtung Westen…

…mal mehr, mal weniger eben…

…wieder Richtung Berg Nitai…

…manchmal gibt es natürliche Stufen aus Stein…

… aber wenn man zurückschaut, denkt man sich trotz der Anstrengung, dass es sich lohnt!

Die Wanderung war einfach fantastisch! So viel Schönheit, so eine vielseitige Natur, ein so majestätischer Ausblick. Und dazwischen immer wieder bewegende Geschichte, die lebendig wird. In die alte osmanische Burg aus dem 17. Jahrhundert bin ich nicht geklettert. Nach meiner Wanderung erzählt mir der nette Mitarbeiter, dass sie über Jahre restauriert und gerade erst für Besucher geöffnet wurde. Tja, also noch ein Grund, nochmal nach Israel zu kommen ;-) Dafür bin ich zu den Höhlen hochgeklettert und fand etwas vor, das fast wie ein antikes Hochhaus aussieht. Um die 350 Höhlen sind hier in der Steilwand auf finden. Die meisten davon wurden als Wohnraum für die Flüchtlinge genutzt, aber in viele dienten auch als Lagerraum, denn die Menschen wussten, dass sie vielleicht über einen langen Zeitraum in den Höhen des Arbel ausharren müssten, bis der Krieg im Tal vorbei ist. Leider kam es dazu nicht. Laut Flavius Josephus gingen die Römer den Flüchtlingen nach. Da die Soldaten aber nicht zu den Höhlen hochklettern konnten, ließen die Kommandanten sie von oben in Körben zu den Höhlensystemen herab. Laub Josephus haben sich hier, ähnlich wie in Masada, einige jüdische Überlebende lieber selbst das Leben genommen, als dem Feind in die Hände zu fallen.

Ein Blick auf die osmanische Burg…

… und einige der Höhlen.

Als ich nach meiner Kletter-Wander-Aktion wieder auf dem Parkplatz ankam, war ich möchte durchgeschwitzt, aber extrem glücklich. Ich kann die Tour auf jeden Fall weiterempfehlen, würde aber das nächste Mal etwas früher vor der großen Hitze losgehen ;-) Aber auch, wenn wir mal alles anders kam, als ich dachte, war es eine wunderbare Erfahrung.

Der Weg ist fast geschafft…

…aber der letzte Aufstieg ist der heftigste:

hinauf an einer Steilwand, als Stufen und Griffe teilweise nur Metallstreben.

Oben wieder angekommen bietet sich wieder der fantastische Ausblick, hier auf die sog. Hörner von Hittim (die linke und rechte Spitze des Berges), wo die Kreuzritter entscheidend geschlagen wurden.

Einige hundert Meter vor dem Nature Reserve wurde auch eine alte Synagoge gefunden. Viel ist über sie nicht bekannt, obwohl sie in manchen mittelalterlichen Reiseberichten erwähnt wird. Dadurch wissen wir auch, dass sie spätestens Anfang des 12. Jhdt. zerstört wurde.

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