Was eine heidnische Stadt in Israel mit uns zu tun hat

Dieses Modell der Stadt steht am Eingang und zeigt dem Besucher, wie Bet Shean ausgesehen haben muss.

Heute führt mich mein Weg an einen besonderen Ort im südlichen Galiläa, der auf den ersten Blick mit unserem Glauben und dem Geschehen rund um Jesus nicht ganz so viel zu tun hat: Bet She´an. Aber man sollte sich vom Schein nicht trügen lassen, merke ich schnell, als ich mich mit der Geschichte dieser antiken Stadt beschäftige – denn ihr Schicksal ist mehr mit der Bibel verwoben, als ich vorher dachte…

Der Ausblick über die ganze Ausgrabungsstätte ist fabelhaft: Die antike Stadt liegt direkt am Fuße des Berges.

Winterwetter. Als ich ankomme, gießt es wie aus Kübeln. Mir wurde schon gesagt, dass der israelische Winter launenhaft sein kann, doch das hätte ich nicht gedacht. Ich hatte extra vorher den Wetterbericht gecheckt, der mir sagte, es solle in Bet She´an 17 Grad bei Sonnenschein sein – ohne Regen. Auf meinem Weg am Jordan entlang beäugte ich jedoch schon misstrauisch die Wolken, die sich Richtung Süd-Osten bewegten. Und tatsächlich: Als ich ankomme, bekomme ich eine ordentliche Dusche ab. Aber dennoch will ich mich nicht abhalten lassen von meinem Besuch hier, denn dieser Ort ist ein wichtiger Zeuge seiner Zeit. Und so wärme ich mich zuerst mit einem leckeren Cappuccino in dem Touri-Shop auf, bewaffne mich mit meiner Kamera und dem Schirm, den der nette Mitarbeiter mir in die Hand drückt, und mache mich auf zum antiken Bet She´an, eine der bedeutendsten römischen Städte ihrer Zeit.

Zeitreise. Vor mir erstreckt sich eine beeindruckende Ausgrabungsstätte, in deren Hintergrund ein hoher, steil ansteigender Berg liegt. Rechts davon erstreckt sich das Jordantal und ich kann sogar bis nach Jordanien blicken, das im Dunst des Morgenregens liegt. Links liegen die südgaliläischen Berge mit dem Gilboa im Vordergrund. Doch meine Aufmerksamkeit richtet sich bald von der wunderschönen Landschaft auf die atemberaubende Ausgrabungsstätte. Denn vor mir wird Jahrtausende alte Geschichte offengelegt.

Überall findet man diese wunderbar erhaltene Kunst.

Die Geschichte Bet She´ans beginnt im 5. Jahrtausend v.Chr. mit ersten Siedlungen. Doch seine für uns wichtige Rolle findet ihren Anfang bei der Landnahme Israels. Eigentlich hatte dieses Gebiet nach der Zusage Gottes dem Stamm Manasse gehören sollen (Jos 17,11). Aber die Angst vor den starken und durchaus gewaltbereiten kanaanäischen Bewohnern hielt die Männer davon ab, die Stadt zu erobern (Jos 17,16 und Ri 1,27). So blieben bis in die spätere biblische Geschichte hinein heidnische Völker dort wohnen, was später dem ersten König Israels zum Verhängnis werden sollte: Als Saul und seine Söhne in der Schlacht gegen die Philister auf dem Berg Gilboa fielen (1Sam 31,1-6), nahmen die Feinde ihre leblosen Körper und hängten sie als grausames Zeichen des Triumphs an die Stadtmauer Bet She´ans (1Sam 31,10.12).

In mehrfacher Hinsicht also ist diese Stadt ein tragisches Element in der Geschichte Israels: Wegen des Ungehorsams und der Angst der einen konnte Feindschaft wie ein Stachel im verheißenen Land bleiben (wie an vielen anderen Orten und in vielen Momenten der biblischen Geschichte Israels) und ermöglichte so dieses tragische und grausame Ende Sauls, der trotz seiner Fehler von Gott zum ersten gesalbten König Israels eingesetzt worden war, und seines Sohnes Jonathan, des besten Freundes Davids.

Bis heute ist die Palladius Straße beeindruckend.

Die Stadt Bet She´an, wie die Israeliten des Alten Testaments sie kannten, wurde während der assyrischen Züge gegen das Nordreich Israel (das übrigens im Jahr 722 v.Chr. fiel) im Jahr 732 v.Chr. dem Erdboden gleichgemacht. Ungefähr 400 Jahre sollte es dauern, bis sich hier unter hellenistischer Oberherrschaft erneut Menschen ansiedelten und Scythopolis auf den Ruinen des alten Bet She´an errichteten. Nach einer hellenistischen Tradition soll das Kindermädchen des griechischen Weingottes Dionysos hier beerdigt worden sein. Sie wurde deshalb zur Namensgebern der neuen Stadt: Nysa-Scythopolis.

Diesen Namen behielt die Stadt bis zu ihrem Ende viele Jahrhunderte später. Nur ihn einer kurzen Phase wurde sie ihn Bet She´an zurück benannt: Als die Juden sich vom Joch der Seleukiden befreiten, judaisierten die Hasmonäer das Land wieder. Doch als die Römer, die einen starken Hand zum Hellenistischen hatten, im Jahr 63 v.Chr. Judäa einnahmen, wurde Bet She´an wieder zu Skythopolis und in diesem Zuge zu einer typisch hellenistisch-römischen Stadt ausgebaut. Schnell nahm sie als größte Stadt in dieser Gegend die Rolle der Hauptstadt der Decapolis ein, des Zehnstädtegebiets, das auch in den Geschehnissen in den Evangelien nicht unwichtig ist. Später bleibt die Stadt in nachbiblischen Zeit in trauriger Erinnerung des jüdischen Volkes: Als 66 n.Chr. der jüdische Krieg ausbrach, wurden die jüdischen Anwohner der Stadt von ihren nichtjüdischen Bewohnern ermordet.

Diese griechische Inschrift verrät uns, dass der Portico während der Regierung von Palladius gebaut wurde.

Ab dem vierten Jahrhundert n.Chr. wurde Skythopolis zur Hauptstadt ihrer Region, die dann Palestina Secunda genannt wurde, und im Zuge der Christianisierung des römischen Reichs auch Bischofssitz. In dieser Epoche lebten hier ungefähr 40-50.000 Anwohner, was für die Antike Großstadtverhältnisse waren. Und das sieht man auch, wenn man durch die Ruinen wandert.

Was die Zeitzeugen uns verraten. Staunend gehe ich den Betonweg, der den Besucher vom Eingangsbereich mit einem Shop und einem Modell, wie Skythopolis gemessen an den archäologischen Funden ausgesehen haben muss, hinunter zu den Ausgrabungen führt. Am Eingang habe ich den für die israelischen Nature Reserves typischen Flyer mit Erklärungen bekommen, doch ist dieser besonders: Die Zeichnung der Ausgrabungsstätte gleicht einem richtigen Stadtplan. Allein das zeigt schon, wie extrem gut erhalten diese Stätte ist.

Das Badehaus ist von beeindruckender Größe: Von dieser Halle aus gehen kleine private Räume ab, dahinter gibt es große Badehallen.

Rechts neben mir liegt das massive Amphitheater, aber ich entscheide mich, zuerst in das große Badehaus zu gehen, gleich zu meiner Linken gelegen. Die für ihre Zeit riesige Anlage stammt aus der byzantinischen Epoche und hat nicht nur fortschrittliche Heizsysteme, sondern der Boden trägt auch wunderbare Mosaike, bunte Pflastersteine und eleganten Marmor.

In den Räumen der Sigma sind die Mosaike teilweise erstaunlich gut erhalten.

Von dort aus folge ich der Hauptstraße der Stadt: der Palladius Straße, wie die Archäologen sie nennen. Sie wurde von den Römern gebaut und in der byzantinischen Zeit erneuert und führt vom Hügel im Hintergrund bis zum heutigen Eingang. Auf der linken Seite (westl.) liegt ein Portico mit Läden, der, wie eine Inschrift verrät, in der Zeit des Statthalters Palladius gebaut wurde – daher auch der Name der Straße. Dahinter eröffnet sich ein halbrunder Platz (ebf. aus der byzantinischen Zeit), Sigma genannt, von dem verschiedene kleine Räume abgehen, die besondere Mosaike auf dem Boden tragen. Direkt gegenüber auf der anderen Seite der Palladius-Straße liegt die byzantinische Agora, ein Versammlungsplatz. Auch hier sind wunderbare Mosaike zu sehen. Dahinter liegt ein weiteres Badehaus. Als ich diese zweite riesige Anlage sehe, wird mir klar, dass die Anwohner von Skythopolis ein recht luxuriöses Leben zu führen schienen. Doch nicht nur das, sondern auch religiöses Leben war allgegenwärtig.

Das Erdbeben hat bis heute Spuren hinterlassen: Diese Säulen etwa wurden wie Dominosteine umgeworfen und liegen bis heute als Zeichen des Geschehens dort.

An der Kreuzung der Palladius Straße mit der Nord und Silvanas Straße liegen die Ruinen eines antiken römischen Tempels, der in der byzantinischen Epoche abgerissen wurde. Hinter dem zweiten Badehaus wurde ebenfalls eine Anlage eines Tempels mit verschiedenen Altären gefunden. Beide stammen sie aus dem 1-2. Jhdt. n.Chr. Etwas merkwürdig mutet es mir an, mitten im Heiligen Land in einer so großen und dominanten Stadt so viele heidnische Kultstätten zu sehen. Ergänzt werden sie durch einige heidnische Symbole, die gefunden wurden – so etwa das Gesicht des griechischen Weingottes Dionysius und ein Mosaik von Tyche, der Schutzgöttin der Stadt.

Vom Tel aus kann man den Blick über die Ausgrabungsstätte und die moderne Stadt schweifen lassen.

Doch eindeutig überragt werden all diese Dinge von den heidnischen Tempelanlagen auf dem Berg der Stadt. Von der Kreuzung der Straßen aus führt eine Treppe den Besucher der Anlage den steilen Berg hinauf, der einen atemberaubenden Ausblick auf die gesamte Umgegend bietet. Von hier aus sehe ich nicht nur das antike Bet She´an vor der modernen Stadt liegen, sondern im Westen auch den Berg Gilboa und im Osten das Jordantal und dahinter Jordanien.

Dieser Berg, auch Tel (Arab.) in der Archäologie-Sprache genannt, ist ein Spielplatz für Archäologen. Auf der erstaunlich weiten Ebene haben sie alle ihre Spuren hinterlassen: die Ägypter, die Kanaaniter, die Israeliten ebenso wie die Römer, die Griechen und die Byzantiner. Die heidnischen Völker haben hier ihre Kulte ausgelebt und verschiedene Tempel gebaut, der israelitische König hatte hier ein Verwaltungsgebäude und die Byzantiner eine Kirche errichtet.

Im Hintergrund sieht man die Berge von Gilboa, wo Saul getötet wurde.

Allein diese kaum mehr zählbaren Schichten auf diesem Berg zeugen von der jahrtausendealten Geschichte der Stadt Bet She´an, die irgendwie unruhig und zerrissen zu sein scheint. Ich klettere den Berg wieder herunter und mach mich langsam auf den Weg zurück zum Eingang. Dieses Mal gehe ich nicht die Hauptstraße entlang, sondern durch die Gebäude am zweiten Badehaus und zum Amphitheater. Ich trete durch einen der riesigen Bögen ein und schaue hinunter auf die zahlreichen Sitzränge. Hier konnten an die 7.000 Menschen sitzen und die Vorstellungen genießen. Gebaut wurde das Theater im 2. Jhdt. n.Chr. und betrachtet man die Rekonstruktionen der Archäologen, muss es ein besonders prächtiges römisches Bauwerk gewesen sein.

Wie ging es weiter für Bet She´an? Bald wurde Skythopolis von ihrem Thorn gestoßen: 636 n.Chr. erleidet die einstige Hauptstadt der Dekapolis dasselbe Schicksal wie viele andere Städte ihrer Zeit, als unter der Führung Mohammads arabische Heere das Heilige Land erobern. Dennoch blieb sie eine große Stadt… bis ihr Ende kam.

Das Amphitheater war in seiner Zeit ein beeindruckender Bau.

Mit einem Mal wird das bunte Leben der stolzen Stadt bis in ihre Grundfesten erschüttert: Ein Erdbeben von massiven Ausmaßen lässt den gesamten Nahen Osten bis hin nach Ägypten erzittern. Bet She´an liegt an der sog. Jordansenke (meist einfach Jordanebene oder -tal genannt), die aus geologischer Sicht ein risikoreicher Ort ist. Denn hier befindet sich der syrisch-afrikanische Bruch, eine Linie, an der zwei Erdplatten aufeinandertreffen, die sich in unterschiedlicher Geschwindigkeit bewegen. Dadurch wurden bis heute immer wieder teil starke Erdbeben ausgelöst. Das Beben am 18. Januar 749 ist so stark, dass ganze Städte einstürzten – so auch Bet She´an, die stolze Stadt Roms im Heiligen Land.

Als sich der Staub der Zerstörung legte, wurde die Stadt aufgegeben. Keiner wollte mehr dort wohnen. Ob es einfach als ein zu großes Risiko angesehen wurde, der Wiederaufbau zu viel gekostet hätte oder man das Geschehen als eine Strafe Gottes ansah, kann heute niemand mehr nachvollziehen. Doch dass die Stadt dem Lauf der Zeit überlassen wurde, ist für uns ein Geschenk, denn auf diese Weise sind beeindruckende Zeugen der Geschichte der Stadt erhalten geblieben, die uns einen Einblick in Kultur, Gesellschaft und Religion geben.

Ein Blick auf Bet She´an – und mich. Ich lasse meinen Blick ein letztes Mal über die Ausgrabungsstätte schweifen und denke über die reiche, aber irgendwie auch bedrückende Geschichte Bet She´ans nach. Eine Geschichte voll von Angst (Manasse) und Schmerz und Tod (Saul und Jonathan), aber auch von Gottlosigkeit, die sich über viele Jahrhunderte im von Gott erwählten Land zur Schau stellte (erst die Ägypter, dann die Kanaanäer und die Philister, dann Rom).

Mir kommt die Frage, ob ich manchmal wie Manasse bin. Lasse ich nicht auch immer wieder etwas in meinem Leben bleiben – weil ich Angst habe? Und verpasse dadurch etwas, was Gott mir eigentlich anbieten möchte, und stehe mir selbst im Weg? Wovon hält Angst mich manchmal ab? Etwas wirklich hinter mir zu lassen, zu vergeben, ein falsches Selbstbild oder Bild von anderen oder sogar von Gott loszulassen? Einen mutigen Schritt aus meiner Komfortzone heraus zu geben und etwas zu wagen?

Das liebe ich so sehr an der Bibel: Sie hält nichts zurück. Sie verheimlicht weder den Segen noch die Folgen, die wir Menschen durch unser Handeln manchmal auslösen. Aber eins steht fest: Uns allen bietet Gott etwas an. Eine Berufung und einen Segen, den Er für uns im Sinn hat. Was ist es bei Dir?

 

Wenn Du mehr über Bet She´an erfahren oder es selbst bald besuchen möchtest, findest Du auf der Website der Nature Reserves weitere Infos: https://en.parks.org.il/reserve-park/bet-shean-national-park/

P.s.: Vielleicht wunderst Du Dich, dass auf einigen Bildern das Wetter richtig schön ist ;-) Tatsächlich habe ich Bet She´an schon im vergangenen September besucht und konnte bei genialem Wetter tolle Fotos schießen – Gott sei Dank!

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