Von einem Gott, dem wir genügen – Teil 1: Warum Jesus sich uns zeigt

Genügen. Hast Du auch manchmal das Gefühl, nicht zu genügen? Egal, wie sehr Du Dich auch anstrengst, wie sehr Du Dich bemühst, wie viel Du investierst… Irgendwo hakt es immer, irgendwo reicht das, was Du bieten kannst, nicht aus. Ich selbst kenne das Gefühl sehr gut, nicht auszureichen – ob damals in der Schule, ob in Freundschaften und Beziehungen, im Studium, bei der Arbeit oder der Familie: Irgendetwas hat immer gehakt. Manchmal hat mein Intellekt nicht genügt und manchmal war ich zu strebsam, manchen war ich zu dick und manchen war ich zu dünn, manches Mal war ich zu flippig und extrovertiert und anderen war ich zu konservativ. Ich habe in meinem Leben die Erfahrung gemacht, dass ich Menschen nicht ausreichen kann, wie sehr ich mich auch anstrenge. Mit der Zeit habe ich verstanden, dass der Grund dafür nicht immer meine eigene Unzulänglichkeit ist, sondern der, dass sie genau wie ich zerbrochen sind, fehlerhaft, von bestimmten Prägungen in ihrem Leben und ihren Einstellungen bestimmt. Vielleicht weißt Du, wovon ich hier gerade schreibe und Du hast diese Erfahrung auch gemacht, mal mehr und mal weniger schmerzhaft. Denn es macht etwas mit einem, wenn man vermittelt bekommt, dass man nicht genügt. Früher habe ich versucht, mich anzupassen: abzunehmen, meine Sprache zu verändern, mein Äußeres oder auch meine Einstellungen. Bis ich Jesus kennen lernen durfte. Er hat mein Leben in vielerlei Weise auf den Kopf gestellt, aber etwas, was mich tief getroffen hat (und was ich immer noch zu lernen und zu verinnerlichen versuche) ist, dass er mich liebt. Einfach so. Wie ich bin. Er sieht zwar meine Fehler und Schwächen – aber genügen tue ich ihm trotzdem! Er hat mich trotzdem gerettet, er hat trotzdem am Kreuz sein Blut für mich vergossen, er hat trotzdem für mich das ewige Leben erkauft, er hat mich trotzdem erwählt und in seinen Dienst gerufen und lässt seinen Heiligen Geist trotzdem in mir leben. Immer wieder, wenn ich mit meinen Grenzen oder denen meiner Mitmenschen konfrontiert werde und manchmal schier daran verzweifeln will, kann ich nicht anders, als über Jesu grenzen- und bedingungslose Liebe und Hingabe zu staunen!

Der Grund. Über diesen erstaunlichen Gott haben wir auch in der Bibelarbeit über Thomas nachgedacht. Johannes hat seinen Bericht zu dieser Begegnung mit den Worten abgeschlossen:

Die Jünger sahen, wie Jesus noch viele andere Wunder tat, die nicht in diesem Buch aufgezeichnet sind. Diese aber wurden aufgeschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben an ihn in seinem Namen das ewige Leben habt. (Joh 20,30-31)

Die erklärte Absicht von Johannes ist es also, durch seine Berichte Menschen in ihrem Glauben zu unterstützen oder sie mit Jesus als dem Retter überhaupt bekannt zu machen. Unter dieser Überschrift hat er aus allem, was er mit Jesus in den Jahren davor erlebt hat, bestimmte Erlebnisse herausgesucht und in seinem Evangelium zusammengefasst und so möchte er dem Leser Anhaltspunkte an die Hand geben, wer Jesus ist und wozu er gekommen ist. Dass Johannes den Bericht über die Begegnung des Auferstandenen mit der größeren Gruppe der Jünger am Ostersonntag und dann nochmal mit Thomas mit dieser Bemerkung in den Versen 30-31 abschließt, heißt, dass auch sie etwas ungemein Wichtiges enthalten, was uns zum Glauben an Jesus führen und uns darin stützen kann. Es kann nicht nur um die bloße Tatsache der Auferstehung gehen, denn dann hätte ein Bericht gereicht. Diese Begegnungen sollen uns also etwas Tieferes verraten über Jesus und die Menschen, die mit ihm Gemeinschaft haben.

Von Jerusalem nach Galiläa. Johannes schreibt, dass die Begegnung zwischen Thomas und dem auferstandenen Jesus schon die zweite war, die in größerer Runde stattgefunden hat. Beide haben in Jerusalem stattgefunden, wo Jesus gekreuzigt wurde und auferstanden ist. Von den anderen Evangelisten wissen wir, dass Jesus die Jünger nach Galiläa schickte (Mt 28,10; Mk 16,7), zurück in die Gegend, wo er die meiste Zeit mit seinen Jüngern verbracht hatte, um das Evangelium zu verkünden in Wort und Tat. Johannes setzt nun genau dort an, um uns von einer weiteren Begegnung zu erzählen, die ich gerne mit Dir anschauen möchte. Diese Begegnung ist die längste, von der uns berichtet ist, weshalb wir sie auch nicht in einer Bibelarbeit komplett betrachten können. Aber ich möchte heute einen Einstieg mit Dir wagen und die ersten zwei Verse mit Dir anschauen – denn allein diese beiden verraten uns so viel über Jesus und seine Jünger (und uns), dass wir da einiges zum Nachdenken finden werden. Lass uns anfangen!

Später zeigte sich Jesus den Jüngern noch einmal am See von Tiberias. Das geschah folgendermaßen: Simon Petrus, Thomas, der auch »Zwilling« genannt wurde, Nathanael aus Kana in Galiläa, die Söhne des Zebedäus und zwei andere Jünger waren dort zusammen. (Joh 21,1- 2, NLB)

Nähe. Vielleicht wunderst Du Dich, dass ich bloß diese beiden Verse heute mit Dir anschauen möchte, denn die richtige Story kommt ja erst noch. Das hier sind bloß die einleitenden Verse, die uns sagen, dass und wo eine nächste Begegnung stattfindet, oder? Und doch sind sie enorm aussagekräftig, weil sie die Personen hervorheben, die involviert sind, wodurch uns ein einzigartiger Einblick in Gottes Liebe zu uns Menschen gegeben wird. Aber lass uns am Anfang beginnen, denn schon in dem ersten Vers lernen wir etwas über unseren Retter Jesus:

„Später zeigte sich Jesus den Jüngern…“ Zuerst einmal ist in diesen einleitenden Worten bedeutsam, dass Jesus der Handelnde ist (was wir auch im weiteren Verlauf des Kapitels lesen): Er ist es, der die Nähe seiner Jünger sucht, mit denen er über drei Jahre so viel geteilt hat. Er war es auch, der die vorherigen Begegnungen mit seinen Jüngern initiiert hat. Heutzutage, wo die meisten von uns, egal, wie lange wir schon im Glauben sind, die Berichte rund um die Auferstehung schon oft gehört oder gelesen haben, fällt uns das vielleicht gar nicht mehr so sehr auf. Und der Grund für die Begegnungen, die dieser vorausgehen, scheint auch klar zu sein: Immer wieder wird uns da nämlich gesagt, dass Jesus seine Jünger lehrt, was genau geschehen war und warum es so sein musste. Das ist deshalb wichtig, weil sie Jesus nur dann wirklich als Christus bezeugen können, wenn sie verstehen. Aber jetzt? Warum begegnet er ihnen nochmal? Im Verlauf unserer Betrachtung wird Dir auffallen: Dieses Mal hat es keinen logischen Zweck in dem Sinne. Dieses Mal geht es nur um Nähe. Nur um persönliche Begegnung. Nur um Beziehung. Jesus will einfach Zeit mit seinen Freunden verbringen. Halleluja!

Offenbarung. Wir lesen, dass Jesus sich seinen Jüngern zeigte. Andere Übersetzungen sagen, dass er sich ihnen offenbarte. Beide Übersetzungen geben den Inhalt des griechischen Wortes gut wieder, dass an dieser Stelle im biblischen Urtext steht. Vielleicht geht es Dir auch so wie mir und das Wort offenbaren klingt etwas mystisch: Gefühlt hat sich ein Bild entwickelt von einem göttlichen Wesen, das sich auf mystische, übersinnliche Art und Weise Menschen zeigt, wobei man aus heutiger Perspektive kaum noch sagen kann, ob das eine bloße Vision oder ein Traum der Menschen war. Aber das griechische Wort, das hier Jesu Auftreten beschreibt, ist ein ganz konkretes: Es kann nur im direkten Austausch, direkten Miteinander stattfinden, nicht durch eine abstrakte Kommunikation. Nein, Jesus zeigt sich öffentlich, er begegnet seinen Jüngern leibhaftig, in Fleisch und Blut (was er auch wieder „unter Beweis stellen“ wird, indem er mit ihnen isst!). Jesus kommt, um seine Jünger zu treffen und ihnen so wieder zu offenbaren/zu zeigen/verständlich zu machen, wie lebendig er ist: Er ist der auferstandene Retter, der am Kreuz unseren Tod gestorben ist und das Grab leer zurückgelassen hat, er ist der Retter, der Sünde und Tod ein für alle Mal besiegt hat!

Der Ort. Für diese Begegnung wählt Jesus den Ort aus, der ihnen allen sehr viel bedeutet. Den See von Tiberias kennen wir alle etwas besser unter dem Namen See Genezareth (oder einfach Hebräisch Kinneret) und er spielt in jedem Evangelium eine wichtige Rolle: Um diesen See herum sind die Jünger mit Jesus oft gezogen, um zu predigen und zu heilen. An diesem See liegen die Orte, an denen Jesus so mächtig wirkte, dass sie in die Geschichte eingegangen sind: Kapernaum, Bethsaida und Chorazin, Magdala und Genezareth, der Ort der Bergpredigt und der Berg, auf den Jesus sich zum Beten immer wieder zurückzog, der Beginn des 10-Städte-Gebiets und Gadara… Wunder über Wunder, Heilungen und Neuanfänge, Bekehrungen und Begegnungen prägen dieses Gebiet wie vielleicht kein anderes. Dieser See veränderte das Leben der Jünger, nicht nur, weil Jesus sie hier teilweise berief und sie ihn auf seiner Mission in diesem Gebiet begleiteten, sondern auch durch ganz bestimmte Erlebnisse: Über diesen See fuhren sie oft gemeinsam, um an andere Orte zu gelangen, und dabei wurden sie nicht nur einmal von einem Sturm überrascht. Dieser Ort hat für Jesus und die Jünger eine große Bedeutung – und wird sie für immer eng miteinander verbinden.

Die Männer. Jesus wählt also nicht den Ort (und auch nicht die Zeit, wie wir später vielleicht noch herausfinden werden) für dieses besonderen Treffen mit seinen Jüngern nach seiner Auferstehung willkürlich aus. Und auch nicht die Personen, denen er begegnet: Ob es Maria Magdalena am Grab oder die Jünger auf dem Weg nach Emmaus waren, die Gruppe der Jünger ohne Thomas und dann mit ihm – Jesus tut nichts unbedacht und ohne Grund. So auch dieses Mal: Denn dieses Treffen, das uns in Joh 21 überliefert ist, ist so besonders und markant, dass Johannes genau festhält, welche der Jünger dabei sind. Und damit kommen wir zu einer äußerst spannenden Beobachtung:

Simon Petrus, Thomas, der auch »Zwilling« genannt wurde, Nathanael aus Kana in Galiläa, die Söhne des Zebedäus und zwei andere Jünger waren dort zusammen.

Auch dieses Mal sind wieder nicht alle Jünger beisammen, aber anstatt einfach zu schreiben, dass Jesus seinen Jüngern oder einigen Jüngern begegnet, schreibt Johannes ziemlich spezi- fisch, wer dabei war. Petrus, Thomas, Nathanael, Jakobus und Johannes Zebedäus – und zwei weitere. Ich glaube nicht, dass Johannes (der ja als einer der Zebedäen selbst bei dieser Begeg- nung dabei gewesen ist) die Namen der beiden anderen vergessen hat und sie deshalb unerwähnt lässt. Bei einem literarischen Meisterwerk, wie die Evangelien es sind, werden keine Informationen einfach so weggelassen; wenn, dann soll das etwas Bestimmtes vermitteln. So auch hier: Warum hebt Johannes diese fünf Männer hervor?

Geschichte. Sie alle haben eine besondere, eine gebrochene Geschichte. Sie alle sind gescheitert. Sie alle haben an Jesus gezweifelt, haben ihn falsch verstanden, hatten Angst oder habe ihn verlassen, als es brenzlig wurde. Und sie alle sind immer noch seine Jünger. Sie alle sind immer noch seine engsten Freunde, die er mehrfach nach seiner Auferstehung aufsucht, um Zeit mit ihnen zu verbringen. Lass uns einen Blick werfen auf die einzelnen Charaktere, die Johannes hier hervorhebt. Wir werden jeweils nur einen kurzen Einblick bekommen, aber vielleicht macht es Dich neugierig darauf, etwas tiefer in den Evangelien zu stöbern, und darauf, wie Gott Beziehung lebt. Und ich bete, dass Dich die folgenden Teile ermutigen und Dir zeigen: Wir haben einen Gott, dem wir genügen.

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