Zeitreise in Ein Keshatot
Begeistert lasse ich meinen Blick über die Ausläufer des Golan schweifen hinunter bis zum See Genezareth, wo Kursi liegt (dazu in einem anderen Beitrag mehr ;-)). Ich sitze auf einer Bank im Schatten oberhalb des Besucherzentrums des so ziemlich coolsten archäologischen Projektes, das mir bisher begegnet ist: Ein Keshatot. Schon als ich meinen Urlaub plante, hatte ich von diesem besonderen Ort gelesen, doch wurden meine Erwartungen weit übertroffen.
Ein Keshatot ist eine von vielen jüdischen Siedlungen, die sich hier im Golan gebildet haben. Alles begann mit der Zerstörung des Zweiten Tempels 70 n.Chr. und dann der brutalen Niederschlagung des Bar Kochba Aufstandes 135 n.Chr. Denn schon nach der Zerstörung des Tempels wurde jüdisches Leben in und um Jerusalem hart kontrolliert. Doch nach der Niederlage Bar Kochbas wurde Jerusalem in eine römisch-heidnische Stadt verwandelt und Juden durften sie nicht mehr betreten. Deswegen verlagerte sich das Leben der wenigen noch in Israel verbliebenen jüdischen Familien in den Norden. Vor allem im Golan entstanden zahlreiche Siedlungen bzw. wurden alte wieder neu belebt. Eine davon ist Ein Keshatot, das um 150 n.Chr. gegründet wurde.
Selbst durch viele Epochen und Herrschaftswechsel (römisch, byzantinisch, muslimisch) hindurch blieb jüdische Kultur hier in Israel erhalten und der Ort florierte. Ein Keshatot war anscheinend bekannt für seine erfolgreiche Produktion von Olivenöl und Stoffen, davon zeugen einige Funde. So zum Beispiel die beeindruckenden Steinbögen, an denen Quellwasser vorbeiläuft in mehrere kleine Steinteiche und Flüsschen. Hier wurde Flachs gefärbt und gewaschen. Weiter unten wurden Räume mit Olivenölpressen gefunden.
Der Ausblick auf den See Genezareth ist einzigartig: Umgeben von Höhenzügen des Golan ist der Ort Ein Keshatot, doch durch die Schneise eines Wadi kann man bis zum See schauen. Die Funde lassen darauf schließen, dass es einen regen Handel gab und die Kaufleute mit ihren Waren nach Kursi (direkt unterhalb am See) und Tiberias (auf der anderen Seite des Sees) zogen.
Der Ort florierte über die Jahrhunderte, sodass er im 6. seinen Höhepunkt erreichte. Das können wir heute daraus schließen, dass in dieser Zeit eine imposante Synagoge im Zentrum des Ortes gebaut wurde: Ungefähr 500 Jahre nach der Zerstörung des Tempels in Jerusalem wurde die Synagoge mit einem beeindruckenden Torahschrein, der Richtung Jerusalem zeigte, gebaut. Die Verzierungen der Synagoge, die die Zeit überstanden, sind beeindruckend.
Doch das Schicksal der jüdischen Gemeinde war kein besonders glückliches: Mitte des 8. Jhdt. (749 n.Chr.) erschütterte ein Erdbeben den Norden Israels und legte das Dorf in Schutt und Asche. So geriet Ein Keshatot in Vergessenheit. Sogar so sehr, dass wir den eigentlichen Namen des Ortes gar nicht mehr wissen! Als arabische Beduinen hier siedelten, gaben sie ihm den Namen „Um el-Kanatir“ (arab. für „Ort der Bögen“), benannt nach den massiven Steinbögen, die das Erdbeben einigermaßen überstanden hatten.
Aufgrund der besonderen Zeit des Bestehens dieses jüdischen Dorfes (nach der Niederschlagung der Aufstände) verrät es uns sehr viel über die jüdische Geschichte in Israel nach der Zerstörung des Tempels und der Vertreibung der Juden daraus: Denn bis dahin war Jerusalem das Zentrum jüdischer Identität gewesen, doch nun war die Stadt für Juden nicht mehr begehbar, den Tempel gab es nicht mehr. Doch das bedeutete nicht, dass das jüdische Volk seine Identität vergessen hätte. Stattdessen wurde der Bezug der Synagogen zum Tempel und dem Bund mit Gott, den wir schon in den antiken Synagogen auf Masada und in Migdal sehen können, immer ausgeprägter: Die Gebetshallen sind nach Jerusalem ausgerichtet, die Torahschreine werden imposanter und in ihrer Position in der Synagoge erhoben, die Gravuren werden mehr. Dazu werden weitere Schriften für das Judentum maßgeblich, etwa der Talmud. Deshalb wird diese Zeit oft als talmudische bezeichnet.
Wir schreiben das Ende des 19. Jahrhunderts, als ein schottischer Christ nach Israel kommt: Laurence Oliphant wird als christlicher Zionist bezeichnet, der das Land der Bibel bereiste, um die Orte zu finden, von denen darin berichtet wird. Er fand in einer kleinen Beduinischen Siedlung imposante Ruinen und schreibt darüber: „Ich sehe die Ruinen von Um el-Kanatir, die beste meiner bisherigen Entdeckungen…“ Als er an den Ruinen der Synagoge ankommt, stellt er schon die Behauptung auf, dass dies einst ein Gebetshaus war. Doch erst 100 Jahre später werden die Arbeiten an der Stätte aufgenommen. Die Regierung gibt der Stätte den Namen Ein Keshatot („Quelle der Bögen“) und greift die Geschichte des Ortes auf. Nach den ersten Sichtungen wird Oliphants These bestätigt: Hier stand einmal eine der größten Synagogen ihrer Zeit. So gehen die Archäologen ein einmaliges Projekt an: Sie wollen Ein Keshatot wieder aufbauen. Mit aufwendiger Technik wird ein 3D-Modell erstellt, wie die Synagoge entsprechend der Zerstörungsmuster ausgesehen haben muss. Die Arbeit dauert Jahre, es werden schwere Geräte eingesetzt, dich dann ist es geschafft: Das Erdgeschoss der Synagoge samt Torahschrein (zumindest der Steinbogen; einst stand darunter der Schrein aus Holz, der die Zeit nicht überdauerte) steht wieder, auch die Bögen an der Wasserquelle sind rekonstruiert worden.
Die Arbeiten dauern weiter an, denn das Ziel ist es, das erste Stockwerk der Synagoge ebenfalls zu rekonstruieren sowie andere Teile des Ortes, um mehr über die jüdische Geschichte der talmudischen Zeit zu erfahren und sie für uns sichtbar zu machen. Ein einmaliges Projekt, eine Freude für Geschichtsfans und ein Segen für das jüdische Volk.
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